(Neo-)Faschismus ist laut wikipedia.de: "ist die Orientierung an der ethnischen Zugehörigkeit, die Infragestellung der rechtlichen Gleichheit der Menschen sowie ein antipluralistisches, [...] geprägtes Gesellschaftsverständnis".
Seit mittlerweile 67 Jahren ist der größte deutsche Faschist nun schon tot. Faschistisches Gedankengut hat aber weithin überlebt. Berichte über Übergriffe auf Ausländer und anders-Gläubige hörten seitdem aber nie auf zu existieren. Die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte nationalsozialistische Partei Deutschlands ist in zwei Länderparlamenten vertreten. Eine rechtsextreme Untergrundorganisation (bekannt als "Zwickauer Terrorzelle") operierte fast zehn Jahre vom Verfassungsschutz unbehelligt und wird für 9 Morde an ausländischen Kleinunternehmern, ein Bombenanschlag in Köln ("Nagelbombenattentat in Köln") und für einen Polizistenmord verantwortlich gemacht (Quelle: wikipedia). Ist das das Erbe was uns der gute Adolf hinterlassen hat? Oder steckt dahinter vielleicht noch viel mehr?
Zum Nachdenken über dieses Thema hat mich ein deutschtürkischer Kabarettist angeregt, der in seinem aktuellen Bühnenprogramm über dieses Thema referiert und es komödiantisch aufbereitet, aber vor allem auch unsere Gesellschaft kritisch betrachtet. Er wirft Begriffe wie "Alltagsfaschismus" in den Raum und fördert damit eine kritische Betrachtung aktueller Gesellschaftsverhältnisse. Man könnte genauso die Frage in den Raum werfen, wieso uns ein Türke darauf aufmerksam machen muss. Ich möchte aber nicht das Programm des Kabarettisten wiedergeben, sondern habe mir meine eigenen Gedanken zu dem Thema gemacht.
Der Nationalsozialismus, wie ihn Hitler vor 70 Jahren propagierte, geht von einem "Herrenvolk", einer idealisierten Arischen Rasse aus, die anderen Rassen überlegen sein soll. Juden, Schwarze, Slawen, Sinti, Roma, aber nicht nur rassisch andere Menschen, sondern auch sexuell anders orientierte Menschen, wie Homosexuelle, galten als niedere Menschen, weniger Wert als ein "normaler" Mensch des Herrenvolkes (sprich: Arier). Menschen, die anderes waren als das als "normal" definierte Ideal wurden aussortiert und in großem Maße umgebracht. Aber leben wir heute in einer toleranten, pluralistischen Gesellschaft, in der jeder seine Persönlichkeit frei entwickeln kann und selbst nicht dem "normalen" Ideal entsprechende Menschen die gleichen Chancen haben, wie jeder andere auch?
Zum Glück hat die Zeit wenigstens das Mittel des Massenmordes in unserer Kultur entfernt. Nicht zu leugnen bleiben aber trotzdem noch Einflüsse aus der Zeit des unbegrenzten Fremdenhasses. Denn immerhin unterliegen alle Kulturen gewissen Schönheitsidealen. Mit einhergehend haben wir auch alle eine Vorstellung wie "normale" Menschen zu sein haben. Diese Stereotypen werden als Maß angesetzt, um Menschen zu beurteilen. Jeder Mensch, der durch diesen Test mit den Prädikaten "hässlich, dumm, antisozial etc." durchfällt, gerät in die Gefahr stigmatisiert und diskriminiert zu werden. Das passiert in zwei Richtungen: Erstmal wird uns von den Leitmedien, Fernsehen und Internet, Schönheitsideale vermittelt und in unseren Köpfen verfestigt, andererseits werden auch diesen Idealen nicht entsprechenden Individuen der Lächerlichkeit preisgegeben. Sieht man "Germany's next Topmodel" weiß eine jede Frau - gerade Teenager und Kinder sind aufgrund von höherer Beeinflussbarkeit besonders betroffen - wie sie auszusehen hat um erfolgreich zu sein. Man muss sich nur einmal genau anschauen, wie diese Show und andere Schönheitswettbewerbe funktionieren. Es wird selektiert, ausgewählt, aus einem Pool von Bewerberinnen, welche die Schönste ist, also welche am meisten dem von gesellschaftlich und vor allem kulturell geprägten Schönheitsideal entspricht. Um das mal klar zu stellen: Diese Frauen müssen nicht klug sein, sie müssen kein wertvolles Mitglied der Gesellschaft sein, sie müssen einzig und allein gut aussehen. Die Folgen sind jedem bekannt: Minderwertigkeitskomplexe aufgrund des eigenen Aussehens werden uns seit Kindesbeinen also eingetrichtert. Der Busen ist nicht groß genug, die Lippen nicht dick genug, Falten lassen uns alt aussehen, wir sind zu dick, die Haut nicht rein genug – also müssen "Beauty-Produkte" und Schönheitschirurgen ans Werk.
Zappt man weiter sind wir am anderen Ende angelangt: In Sendungen wie "Frauentausch", "Mitten im Leben" und vielen anderen werden uns Menschen gezeigt, über die wir uns lustig machen sollen und auch machen. Es werden Menschen zur Schau gestellt, die sich auf der Suche nach ein wenig Ruhm und Anerkennung dort bewerben, aber in Wirklichkeit nur dazu dienen sollen, dass sich Menschen über sie lustig machen oder noch besser, sich vor ihnen ekeln. Man sitzt vor der Glotze und stellt sich die Frage, wer ist eigentlich der Perversere, ich, der ich vor der Glotze sitze und mir angucke, wie assoziale Idioten sich lächerlich machen oder die Casting-Direktoren solcher Sendungen, die die Menschen nach Lächerlichkeit selektieren und sortieren, wer das Potenzial hat, durch besonders dumme oder assoziale Aussagen oder Aktionen, die Menschen vor den Fernseher zu ekeln. Ist es nicht eine lächerliche, perverse Neigung, dass wir uns über die Menschen tagelang lustig machen, die in solchen Shows landen, damit sie ihre Dummheit, Hässlichkeit und ihre sonstigen schlechten Eigenschaften zur Schau stellen, weil sie dadurch berühmt werden können, während das wahre Ziel der Fernsehmacher ist, dass wir uns über sie lustig machen? Nicht anders ist es bei Sendungen wie "Deutschland sucht den Superstar" und "Deutschland sucht das Supertalent". Unter dem Deckmantel der Talentförderung werden Menschen gesucht, die sich lächerlich machen wollen, um ins Fernsehen zu kommen. Könnte man diesen perversen Voyeurismus nicht als Alltagsfaschismus bezeichnen?
"Product Placement" wird seit Jahren in der Werbung ausgiebig genutzt. Den DeLorean kennen wir praktisch nur durch eine Filmreihe aus den 80ern; wir wissen, dass Becks ein gutes Bier sein muss, weil Charlie Harper auch trinkt, bei aktuellen Hollywoodstreifen, die in der Zukunft spielen, sieht man riesig große Werbebanner im Hintergrund, die aktuelle Produkte bewerben, Serienhelden reden über Produkte, die danach zu Topsellern werden. Genauso können uns aber auch unterbewusst Werte durch das Fernsehen vermittelt werden. Auffällig häufig sind mir bei der sogenannten "Infotainment-"Sendung "Galileo" unsachgemäß ausgeführte und wissenschaftlich völlig unaussagekräftige Nationenvergleiche aufgefallen, die ein Bild des schönen Deutschlands vermitteln. So werden da Stereotypen von Nationalitäten und Kulturen in die Runde geworfen und auch "nachgewiesen". Der Fernsehzuschauer nimmt das alleine wegen diesem Wort als Fakt entgegen und somit können Vorurteile gegenüber Fremden oder Ausländern geschürt und vor allem auch fest in den Köpfen verankert werden. Aber viel interessanter sind Details, die beim Zuschauen von "Hartz 4-Fernsehen" (dieser Ausdruck zeigt schon die herablassende Art ggü. arbeitslosen Mitbürgern, die als dumm, assozial und vor allem auch antisozial dargestellt werden, wie in diesen Sendungen vermittelt wird), also mittaglichen Fernsehsendungen wie "Mitten im Leben" oder "Familien im Brennpunkt", auffallen. So sah ich eine von diesen Sendungen, wo es darum ging, dass die Tochter einer alleinerziehenden Einzelhandelskauffrau aufsässig wurde und langsam in die Prostitution abzurutschen drohte. Am Schluss stellte sich heraus, dass sie sich mit reichen Männern traf, die ihr schöne und teure Anziehsachen gegen Sex als Gegenleistung verkauften. Die Wohnung eines solchen Freiers wurde auch gezeigt: Er im Anzug, der typische Geschäftsmann, seine Wohnung üppig eingerichtet, Ledersofa, Designermöbel und aufwändig eingerichtete Küche suggerierten dem Zuschauer einen wohlhabenden Geschäftsmann. Doch ein kleines Detail machte mich stutzig: Während des großen und lautstarken Streits der besorgten Mutter mit dem Freier der Tochter, sah man deutlich im Hintergrund eine Menora stehen. Der siebenarmige Kerzenhalter ist ein jüdisches Symbol und dürfte als solches auch den meisten Menschen bekannt sein. Diese Menora suggeriert ein Bild des Juden, wie es im Nationalsozialismus verbreitet war: Der Jude, der durch Ausbeutung von braven deutschen Bürgern zu Geld kommt und nun das arme deutsche Mädchen ausnutzt. Diese Wertevermittlung funktioniert genauso wie "Product Placement": Unterbewusst nehmen wir gewisse Sachverhalte auf, die wir bewusst gar nicht wahrnehmen und setzen diese im Gehirn um. Selbst wenn man diese Menora nicht bewusst wahrnimmt wird man wahrscheinlich beim nächsten Anblick einer solchen das Bild des fiesen, bösen Menschen, der jugendliche Frauen ausnutzt wieder durch das Unterbewusstsein zu einem grundsätzlichen, unformulierten Misstrauen gegenüber Menschen, die einen solchen Gegenstand besitzen entwickelt – ohne, dass man mehr über sie weiß. Faschistische und Antisemitische Werte werden uns aber nicht nur von den Medien vermittelt, es gibt Bereiche unserer Gesellschaft, die praktizieren sogar "Alltagsfaschismus".
Soziales Leben und Kontakte, aber auch generell Informationsaustausch, findet immer mehr virtuell im Internet statt. Ein Problem mit dem wir uns Tagtäglich konfrontiert sehen, ist der Datenschutz. Denn wir hinterlassen Spuren, Google hat schon vor vielen Jahren angefangen unsere Suchanfragen zu speichern und uns nach Analyse und Auswertung selbiger uns personalisierte Werbung anzubieten. Genauso in Facebook und Co., wo wir möglichst viel von unserer Persönlichkeit und unserem Leben preisgeben sollen, damit personalisierte Werbung uns auf der Startseite präsentiert werden kann. Viele Unternehmen spezialisieren sich mittlerweile auf die Sammlung und Auswertung persönlicher Daten. Unternehmen nutzen soziale Netzwerke und solche gesammelten Datensätze zum Beispiel um mehr über Bewerber für Jobs und ihre Mitarbeiter herauszufinden. So meint die amerikanische Professorin für Jura und Recht – Lori Andrews – auf sueddeutsche.de (Link zum Artikel am Ende), "dass Arbeitgeber die Entscheidung, welchen Bewerber sie einstellen, von dessen Online-Profilen abhängig machen. Eine Studie hat ergeben, dass 70 Prozent der Personalchefs in den USA schon einmal einen Bewerber aufgrund von Informationen abgelehnt haben, die im Internet abrufbar sind". So findet auch ihr ein gewisses "Stereotyping" statt, denn wo viele Daten analysiert werden ist das unausweichlich. Banales Beispiel: Stößt man auf Facebook oder beim "Googlen" nach einem Namen ein Video, wo die gesuchte Person volltrunken irgendwelchen Unsinn macht, gilt diese Person als "Säufer", unzuverlässig und als nicht seriös. So wird also diese Persönlichkeit aufgrund nur einer Information in eine Schublade gesteckt. So kann es auch dazu kommen, dass ein Kreditantrag nicht aufgrund der momentanen finanziellen Situation oder vergangener Kredite abgelehnt wird, sondern weil man durch diese Informationen in einer "gewissen Personengruppe eingeordnet wird, deren Vorlieben und Abneigungen den eigenen ähnlich sind."
Lori Andrews führt dies näher aus: "Aus dem Verhalten dieser Gruppe wird auf das individuelle Verhalten geschlossen. Wenn dann zum Beispiel statistisch nachweisbar ist, dass Gitarristen oder Leute in Scheidungsverfahren ihre Kreditkartenrechnungen mit hoher Wahrscheinlichkeit seltener begleichen, könnte die Tatsache, dass man sich kürzlich Gitarrenwerbungen angesehen oder eine E-Mail an einen Scheidungsanwalt geschickt hat, dazu führen, dass die Kreditwürdigkeit herabgestuft wird."
In der Vergangenheit wurde dieses Stereotyping von den Banken ähnlich genutzt: Es wurde per Rotstift auf Karten Gebiete markiert, in denen besser keine Investitionen getätigt werden sollten. Daher rührt der Begriff "redlining" (geprägt von Kommunikationswissenschaftler John McKnight). "Im Laufe der Zeit aber hat sich die Bedeutung des Begriffes ausgeweitet. Er bezeichnet heute alle möglichen Formen von Diskriminierung, beispielsweise die Ablehnung von Immobilienkrediten an Afroamerikaner, selbst wenn diese wohlhabend oder Angehörige der Mittelschicht sind" (Zitat Lori Andrews). Somit wird also auch in der freien Wirtschaft Diskriminierung aufgrund von Stereotypen, ob es nun der Wohnort ist, die Herkunft, die Hautfarbe oder andere Eigenschaften. Ist das natürliche Selektion der freien Marktwirtschaft oder schon Faschismus – die Grenzen scheinen zu verschwimmen.
Die Zeiten, wo Menschen aufgrund ihrer Religion zum Zweck des Massenmords in Konzentrationslager gesteckt werden ist in westlichen Gesellschaften zum Glück vorbei. Trotzdem scheint noch etwas von faschistischem Gedankengut in unserer Gesellschaft tief verwurzelt zu sein. Ob nun die angeführten Beispiele wirklich auf ein faschistisches Fundament der Gesellschaft deuten, mag interpretationssache sein. Natürlich kann man jedes meiner Argumentation kritisieren, dass sie in boshafter Subjektivität gewählt wurden. Damit mag man vielleicht sogar Recht haben. Was bleibt ist aber ein Spruch von dem deutschtürkischen Kabarettisten: "Jede Minderheit hat ein Recht auf Diskriminierung." Soll heißen: Faschismus und Diskriminierung sind allgegenwärtig. Auch gegen uns. Und jeder von uns praktiziert es in gewisser Weise auch selbst.
Lori Andrews auf sueddeutsche.de: "Wie die Datensammel-Industrie hinter Facebook und Co. funktioniert", Link: http://www.sueddeutsche.de/digital/auswertung-persoenlicher-informationen-wie-die-datensammel-industrie-hinter-facebook-und-co-funktioniert-1.1280573